Ab Sommer 2022 gilt in Norwegen ein neues Gesetz. Ab dann müssen Werbetreibende und Influencer ihre Bilder kennzeichnen, wenn diese (laut Gesetz) als retuschiert gelten.
Hintergedanke dabei ist: „Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter einer verzerrten Wahrnehmung des Körperbilds. Die Umfrage einer Kinderschutzorganisation ergab, dass 43 Prozent der Befragten in Bezug auf ihr Aussehen unter Stress stehen“*
Weiter wird definiert, was noch an Bearbietung zulässig ist. Und zwar „Aufhellung, Verdunklung oder Schärfung“.
Aber warum findet man dies nun hier in meinem Blog?
Die liebe Irina und ich kamen darüber ins Gespräch, ab wann ein Bild wirklich bearbeitet ist und ob wir unsere Bilder als bearbeitet definieren müssten, oder nicht.
Um dies vorweg zu nehmen, laut dem Norwegischen Getzt wären unsere Bilder bearbeitet, wenn man mal außer Acht lässt, dass ich als Hobbyist nicht unter das Gesetzt falle.
Aber wie machen es andere Länder, ein Blick Richtung Frankreich, wo es ein solches Gesetzt schon seit 2017 gibt, gibt eine andere Definition. Dort heisst es:
„[…] Fotos, die so verändert wurden, dass die Körpersilhouette verändert erscheint, bei einer Veröffentlichung für kommerzielle Zwecke laut einem Dekret von 4. Mai 2017 den Vermerk photograpie retouchée tragen. […] Retuschen des Gesichts sind davon nicht betroffen“**
Nach dieser Definititon dürfen wir uns dem Vorwurf der Retusche freisprechen 😉
Dennoch bleibt der Gedanke, ab wann ist ein Bild retuschiert? Erst wenn ich in Photoshop den Verflüssigungspinsel schwinge, oder wenn ich Pickel wegstempel? Ist dodge & burn Retusche, schließlich könnte ich dies auch mit perfekter Lichtsetztung realisieren?
Weitergehend kann man sich die Frage stellen, ob ein Preset in der Kamera oder das Arbeiten in LR Retusche ist. Oder ist Make-up schon tabu? „Spätestens wenn es Stuckarbeiten sind“ würde meine Frau jetzt sagen.
Andererseits bearbeitet heute jedes Smartphone die Bilder ohne das der Nutzer das groß mitbekommt.
Um dem Thema etwas mehr Fundament zu geben, haben sich neben Irina noch 2 Modelle gefunden die etwas zu diesem Thema sagen möchten.***
Irina (Fotografin):
Ich finde das neue norwegische Gesetz klasse. Es hätte schon viel eher kommen müssen. So viele Teenies, die nun mit der Instagram-Welt aufwachsen, haben ein völlig falsches Schönheitsbild. Für sie ist es „normal“, so retuschiert auszusehen oder gar eine 1A Wespentaille zu haben. Sie sehen die Retusche in den Bildern nicht so, wie wir Fotografen (eine gute Retusche ist auch schwer zu erkennen, aber mal Hand aufs Herz, wer hat keine Pickelchen oder gar Cellulite? Selbst ein Polster finde ich völlig menschlich.).
Ja, auch ich als Model mag meine Bilder lieber retuschiert, heißt meine Akne entfernt. Jedoch darf mein Körper bitte so bleiben wie er ist. Als Fotografin retuschiere ich ebenso. Sogar Babys haben keine Aalglatte Haut.
Ich bin gespannt auf die Umsetzung, in wie weit dies zu erkennen ist. Ein Wasserzeichen auf meinen Bildern fände ich uncool und hat was von einem „Fail“ – Stempel. Aber es regt mich zum Nachdenken an, meine Bearbeitung definitiv in den nächsten Posts zu beschreiben.
Vielleicht sollten wir mehr aufklären und noch mehr auf #mehrrealitätaufinstagram setzen?! Oder sollte es vielleicht Schulkurse zum Thema „Leben auf Instagram“ geben?!? Gegen Mobbing wird ebenso aufgeklärt, warum dann nicht gegen falsche Schönheitsideale?
Lory (Model):
Ein schwieriges Thema, meiner Meinung nach, denn wir alle kennen es doch: Toll. Ein Pickel auf der Wange, mitten im Gesicht! Dabei ist das Bild doch soooo gut geworden! Aber naja, es gibt ja jetzt so tolle Bearbeitungs-Apps und Filter und und und.. zack! Pickel weg, Bild gut, ready zum hochladen! Ist doch nix dabei, oder?
Oder anders: Super Bild, kommt aber in S/W viel besserer rüber! Bisschen dunkel… Helligkeit etwas höher, soooo perfekt!
Weder die Haut, noch das Licht sind zu beeinflussen. Super Location, toller Look und alles stimmt. Bis auf die Haut des Modells oder das Licht.
Zum Glück gibt es sowas wie Lightroom oder Photoshop.
Denn Pickel sind nur temporär, genauso wie die Augenringe weil man die Letzte Nacht nicht sooo unfassbar gut geschlafen hat. Das hat ja nichts mit dem Model zu tun, das ist auch nicht jeden Tag so und dafür sprechen auch andere Bilder. Und wieso ein Bild hochladen wo ein Pickelchen oder die verschmierte Wimperntusche schreit „hier seht mich an!“. Das macht ja keiner.
Und auch das Licht: Auch wenn es etwas zu dunkel ist, kann man das in ein paar Klicks in Ordnung bringen und man hat vielleicht ein wunderschönes Bild was man sonst in die Ablage 13 gelegt hätte.
Was sag ich also dazu?
Das Gesetz ist schön und gut und ist bestimmt ein Schritt in die richtige Richtung und ein guter Gedanke. Nur gerade auf TFP-Basis sind wir alle keine Profis und die Lichteinstellung ist manchmal nicht optimal, weil sich das Licht just in dem Moment geändert hat oder der Sonnenstrahl gewendet hat. Wir sind keine Leute die sich vor jedem Shooting eine MUA holen.
Anders ist es jedoch bei der Bearbeitung und Anpassung des Körpers weil der Fotograf (oh gott bewahre) ein schlankeres Model will oder das Model sich zu dick fühlt. Denn das ist Verfälschung des Bildes und an der Stelle kann ich das Gesetz dann auch wieder nachvollziehen.
Also, mein Fazit:
bearbeiten von temporären Sachen, wie Pickel oder Augenringe, kein Thema, denn das definiert mich nicht! Ich würde mir auch ganz schön blöd vorkommen, wenn ich unter jedes meiner Bilder schreiben müsste „Retusche durch Wegstempeln eines Pickels“ (kann mir dazu schon einige Kommentare vorstellen).
Bearbeiten von kleineren Brüsten auf eine Nummer grösser oder von der Körpergröße auf eine Nummer kleiner, nein, bitte nicht! Denn das ist, in meiner Hinsicht, Selbstbetrug.
Lebensechte Mangafiguren haben für mich also nichts mehr mit Retusche zu tun, wobei diese garkeine Kennzeichnung brauchen, das sieht ja jeder auf Anhieb.
Saskia (Model):
Retusche beginnt für mich, wo die „korrekte“ Wiedergabe des fotografierten Körpers aufhört und eine Idealisierung beginnt. Damit meine ich weder Dodge & Burn oder Presets, die die Bildstimmung anpassen, sondern vielmehr das Einsetzen von digitalen Tools, um eine Person idealer darzustellen als es ist. Hier ein Röllchen weniger, dort ein paar Wimpern mehr, Poren nie dagewesen. Für mich spielt es da keine Rolle, ob es sich um eine professionelle Werbefotografie, Hobby-Modelfotografie oder ein Selfie bei Instagram oder Snapchat mit meist übertriebener Beautyfunktion handelt.
Die Zielgruppe, die durch das norwegische Gesetz geschützt werden soll, umfasst primär junge Menschen, die in meinen Augen auch geschützt werden sollten. Wie viele junge Mädchen eifern Models auf Covern von Modezeitungen nach ohne zu realisieren, dass die Person in Wirklichkeit vermutlich doch nicht so ideal aussieht? Wie viele junge Instagram-Nutzende möchten so aussehen wie ihr Vorbild in der Story? In unserer schnelllebigen Social Media geprägten Welt erschafft das nur Druck. Druck, der in meinen Augen mit einem transparenterem Umgang vermieden werden kann. Warum ist Cellulitis gesellschaftlich kritisch beäugt, obwohl ein Großteil der Betroffenen genetisch bedingt einfach nur ein schwaches Bindegewebe haben und nur in geringem Maß mit Sport und Ernährung entgegen wirken können? Weil der Gesellschaft vorgelebt wird, dass nur ein idealer Körper schön ist. Dabei sind es doch meist die Körper, die etwas erlebt haben, die uns berühren, die uns initiieren sich weiter mit dem Bild zu beschäftigen. Ist das nicht viel wichtiger, als sich die nächste Shaping-Bodylotion für den Einkauf zu notieren?
Daher spreche ich mich klar dafür aus, dass Retusche gekennzeichnet werden muss, sobald Körperform und/oder Haut manipuliert wurde. Transparenz schafft Akzeptanz – und das zählt auch für natürliche Körperformen. Es geht nicht darum, dass ich Retusche per se verteufle. Im Gegenteil: Auch Bilder von mir wurden bereits je nach Definition mehr oder weniger retuschiert. Kein Model mag einen Pickel am Kinn, der durch einen ungünstigen Zyklus oder nach einer Woche nicht ganz gesunder Ernährung zufällig am Shootingtag auftaucht. Das muss es aber ja auch nicht. Sollte hier nun eine Retusche zum Tragen kommen, ist es aber durch einen kleinen Hinweis schnell und unkompliziert zu vermerken was idealisiert wurde. So wird auch klar gestellt, was die Retusche bezweckt hat und, dass zum Beispiel nur das Kinn bearbeitet wurde, nicht aber die Silhouette.
* https://www.n-tv.de/panorama/Influencer-muessen-Fake-Fotos-kennzeichnen-article22618520.html
**https://de.wikipedia.org/wiki/Retusche#Recht
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